Dialogpredigt am 29.03.2020: „Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.“

Passionszeit. Jesu Leidenszeit. Am Sonntag Judika lesen wir im Hebräerbrief im 13 Kapitel:

„Jesus hat außerhalb des Stadttores gelitten. Durch sein eigenes Blut wollte er das Volk heilig machen. Lasst uns daher hinausgehen vor das Lager. Wir wollen die Schande auf uns nehmen, die ER getragen hat. Denn wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir“.

(Übersetzung: Verse 12-13 BasisBibel, Vers 14 Luther-Bibel 2017)

„Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.“ Das klingt doch tröstlich, oder?

Nein, auf mich wirken diese Worte alles andere als tröstlich. Eher nach Weltuntergangsstimmung, nach Panikmache. Kraft, Liebe und Besonnenheit brauche ich in diesen Tagen. Den Zuspruch, dass Gott uns zutraut, diese Zeit der Distanz miteinander durchzustehen. Dass alles gut wird, wie auch immer es werden wird.

Mich berühren eher Bibelverse, die sich unsere Konfis schon für ihre Einsegnung ausgesucht hatten.

 „Der Herr wendet Gefahr von dir ab und bewahrt dein Leben“ (Psalm 121,7)
Oder „Alles kann ich durch Christus, der mir Kraft und Stärke gibt“ (Philipperbrief 4,13)
Oder: „Gott ist ein Vater, dessen Erbarmen unerschöpflich ist. Auch wenn ich viel durchstehen muss, gibt er mir immer wieder Mut“ (2. Korinther 1, 3b-4b)

Das berührt mich! Und jetzt kommt dieser krasse Text und malt so ein Szenario von Blut, Schande und Vertröstung auf eine zukünftige Welt!

„Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.“

Stimmt! Das Bild von der zukünftigen Stadt, in der Menschen letztendlich Heimat finden, gehört eher zu Abschieden und Trauerfeiern. Viele Menschen sind in diesen Tagen nicht direkt vom Tode bedroht. Gott sei Dank! Aber sie erleben Hilflosigkeit und Verzweiflung. Scheinbare Sicherheiten gelten nicht mehr! Auch Unfrieden und Ungerechtigkeit gehen weiter. Könnte Corona die nicht ausmerzen?

Manche Menschen mit Lohnfortzahlung empfinden diese Tage „wie Sonderurlaub“. Endlich kommen sie dazu, Keller auszumisten, Gärten schick zu machen, verschämt die Sonne zu genießen. Wie anders erleben dies die Freischaffenden, die geringfügig Beschäftigten, die Kleinunternehmer. Denen bricht das Einkommen weg, Existenzangst bestimmt ihren Alltag. Das ist doch ungerecht!

Hörst du noch was von den Kriegswirren in Syrien, in der Ukraine, im Kongo? Die Waffen schweigen dort doch nicht auf einmal. Menschen vertragen sich doch nicht plötzlich, nur weil der Corona-Virus um die Ecke kommt! Unsere Sorgen ums Überleben – so berechtigt sie auch sein mögen – verstellen uns den Blick auf Gewalt und Unrecht in anderen Krisengebieten. Die Kriegstreiber wissen sehr gut, die Situation für sich und ihre Ziele zu auszunutzen. Die Anliegen der Opfer kommen nicht mehr zur Geltung. Geschweige denn zu ihrem Recht!

Verzweiflung herrscht in den Flüchtlingslagern an Europas Außengrenzen und im Nahen Osten. Dort leben Menschen notgedrungen auf engstem Raum. Der Virus hat leichtes Spiel. Dazu kommt die Ungewissheit, ob es für sie jemals weitergehen wird. Und das Gefühl, in ihrem Elend von aller Welt vergessen zu sein. Die Angst, einfach dem Mittelmeer oder dem Tod überlassen zu werden.

Schlimm ist es für die Bewohner der Slums, Townships und Squattercamps in allen Teilen der Welt. Viele haben keinen Zugang zu sauberem Wasser. Wohnen mit ihren Großfamilien in viel zu kleinen Häusern. Wie sollen sie da Distanz zueinander schaffen? Verlust der Arbeit bedeutet für sie: kaum Geld für Lebensmittel, kein Geld für Seife. Was hilft ihnen der Rat, sich oft und ausgiebig die Hände zu waschen, damit der Corona-Virus keine Chance bekommt!

Für die Schülerinnen und Schüler ist es gerade auch schwer. Manche kommen mit Onlinelernen zurecht, weil sie die nötigen Hilfen bekommen. Andere nicht. Nicht in jedem Elternhaus werden Kinder gefördert.

Und wenn wir schon beim Elternhaus sind. Die Zahlen häuslicher Gewalt haben sich seit der Kontaktsperre fast verdoppelt. Aufgestauter Frust wird allzu oft durch Beleidigungen und Schläge abgebaut. Opfer von häuslicher Gewalt haben es momentan noch schwerer, vor der Gewalt zu fliehen.

Ja, das alles muss wahrgenommen und darf nicht klein geredet werden. Mir helfen in diesen Tagen Worte, die Christen in Südafrika zur Zeit der Rassentrennung in einem Bekenntnis festgehalten haben. Im Bekenntnis von Belhar. Dort sagen sie in Artikel 4:

„Gott ist in einer Welt voller Unrecht und Feindschaft in besonderer Weise der Gott der Notleidenden, der Armen und der Entrechteten“.

Das heißt: Weder Arme noch Reiche können behaupten: Mir passiert nix! Ich kann mich selbst retten!

Angesichts von Corona sind wir alle gleich. Gleich gefährdet. Gleich infizierbar. Auch wenn die Folgen nicht jeden gleich treffen, bleiben doch alle gleich bedürftig nach Trost und Hoffnung. Da ist es gut, zu wissen: Gott sieht sie, hört sie, schafft ihnen Recht! Wo wir es nicht können, da achtet Gott auf jeden einzelnen Menschen – und ganz besonders auf die Schwachen, Kranken, Leidenden. Auf alle, die unserem Blick entgleiten, deren Not aber weitergeht !

„Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.“

Für mich hört das sich jetzt schon tröstlicher an, ja fast schon zuversichtlich. Die zukünftige Stadt Gottes, das himmlische Jerusalem. Ein Bild für die Sehnsucht, die uns antreibt: Arme und Reiche, Mächtige und deren Opfer, alle teilen die Sehnsucht nach einem Leben in Gesundheit, Geborgenheit, Sicherheit – und Heimat!

Jesus kennt diese Sehnsucht nach einem gerechten Leben. Er erlebt selbst Flucht, Streit in der Familie, das Gegeneinander von arm und reich. Er kennt Verlassen sein und Einsamkeit. Jesus muss viel durchstehen. Er vertraut den Zusagen Gottes, seines Vaters, und hält beharrlich durch. So wird er zur Kraft für viele Menschen nach ihm. Bis heute. Auch für mich.

In jedem Gottesdienst nehmen wir daher die Welt und einander ins Gebet. Auch heute denken wir an den nahen und den fernen Nächsten. Traut euch! Liegt Gott – unserem guten Vater – mit euren Herzen, mit euren Worten in den Ohren! Gott wird allen ihr Recht schaffen.

„Und der Friede Gottes, der unser menschliches Verstehen übersteigt, er halte unseren Verstand wach, unsere Hoffnung groß und unsere Liebe stark.“

Amen.


Online-Gottesdienst über kirche.plus am Sonntag Judika, 29. März.2020
Ort: Evangelische Kirche in Pivitsheide
Dialogpredigt: Pastorin Birgit Krome-Mühlenmeier und Jugendreferent Tobias Graf, Kirchengemeinde Wülfer-Knetterheide.
Predigttext: Hebräerbrief 13, 12-14